Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Ich möchte Ihnen heute zusammen mit Aura Heidenreich dieses neu gegründete Erlanger
Zentrum für Literatur und Naturwissenschaft vorstellen. Es geht im Wesentlichen um Zahl
und Erzählung. Und lassen Sie mich beginnen mit einem Buch, das sehr bekannt ist, Alfred
De Blins Berlin Alexanderplatz und einer Szene dort drin, die sehr zentral ist, Franz Biberkopf,
die Hauptperson, erschlägt seine Braut Ida. Und Alfred De Blin erzählt jetzt nicht die
psychologischen Motive und was innerlich vorgeht, sondern erzählt in einer
naturwissenschaftlichen Art und Weise. Er bemüht das Newtonische Gesetz, welches lautet,
ein jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe, solange seine Kraftwirkung ihn anlasst,
seinen Zustand zu ändern. Es geht so weiter und die Größe der Kraft wird mit folgender Formel
ausgedrückt, dann steht diese Formel da, die durch die Kraft bewirkte Beschleunigung, also den Grad
der erzeugten Ruhestörungen spricht diese Formel aus. Danach ist zu erwarten und tritt tatsächlich
ein, die Spirale des Schaumschlägers wird zusammengepresst, das Holz selbst trifft auf,
auf der anderen Seite Trägheitswiderstandsseite, Rippenbruch, siebtes, achte, linke, hinterer
Achsellinie. Die entscheidende Frage, um die es mir jetzt geht, ist nicht Berlin-Alexanderplatz,
sondern ist dieser Text, den wir dort sehen, eine Formel oder eine Metapher? Da können wir jetzt
einen Quiz machen, A oder B, man kann ja seine, also es sieht aus wie eine Formel, aber es fungiert
offensichtlich, es wird benutzt wie eine Metapher. Und eine Lesart ist, dass diese Formel als Metapher
verwendet wird für einen naturgesetzlich ablaufenden Gewaltvorgang. Also da gibt es
offensichtlich gar keine Freiheit mehr, das ist festgelegt durch dieses Naturgesetz, das Franz Ida
erschlägt. Das zentrale Problem hier ist etwas, was Heinrich von Kleist schon vor über 200 Jahren
festgestellt hat. Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen, in solche, die sich auf eine
Metapher und in solche, die sich auf eine Formel verstehen. Deren, die sich auf beides verstehen,
sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus. Und das ist genau das Problem vor der Gründung von
dem Zentrum für Literatur und Naturwissenschaft, wir standen, wir wollen praktisch diese Klasse
bilden oder ausbilden. Und was erwartet sie nun in der nächsten dreiviertel Stunde, Stunde? Wir
versuchen ein interdisziplinäres Gespräch zu führen zwischen einer Literaturwissenschaftlerin,
Aura Heidenreich und einem Physiker, mir. Und natürlich mit jeder Menge Literatur, mit Thomas
Lehr, mit Schriftstellern, mit Carl Sagan, mit Raoul Schrott und schauen, was sich daraus ergibt.
Ich möchte beginnen, um ein bisschen einzuführen in das Thema Physik in Literatur. Später werden
wir zur Literatur in Physik kommen. Das Thema ist aktuell und bestsellerwürdig. Ich nenne nur
Daniel Kehlmanns millionenhaft verkauften Roman, Die Vermessung der Welt. Er schildert dort fiktive
Biografien von Carl Friedrich Gauss und Alexander von Humboldt, bringt sie in eine Geschichte und
erzählt letztendlich viel über Wissenschaft in einer fiktionalen Form. Ich möchte darauf gar nicht
eingehen. Ich möchte Sie nur erinnern an Schullektüren, die manche von uns genossen oder auch nicht
genossen haben. Berthold Prechtz Galileo Galilei oder Friedrich Dürrenmatz, die Physiker. Siegfried
Lenz Erzählungen, Einstein überquert die Elbe bei Hamburg. Es sind alles Schullektüren, wo Physik
ganz zentral im Mittelpunkt steht oder klassische deutsche Literatur. Goethes, die Wahlverwandtschaften,
Hermann Broch, die unbekannte Größe oder Robert Musil, der Mann ohne Eigenschaften. Sie sehen hier
schon, es wird nicht nur um Physik gehen, obwohl wir heute diesen themenschwerpunkt Physik gewählt
haben, aber mit den Wahlverwandtschaften ist die Chemie ganz zentral, in Robert Musil auch die
Mathematik. Wir können den deutschen Sprachraum verlassen und sehen, dass das eigentlich ein sehr
gängiges Thema ist. Allein in der englischsprachigen Literatur von Thomas Pynschen, Gravity's Rainbow,
eines seiner Hauptwerke, würde ich sagen. Sehr bekannt geworden ist das Theaterstück
Copenhagen von Michael Frayn oder die Erzählung oder Roman von Jeannette Winterson, Gut Symmetries.
Jeder Physiker würde sofort aufhörchen, Gut, G-U-T, Grand Unified Theory, aber hier wird auch wieder
mit der Metapher gespielt, Gut, die Eingeweihten, Symmetries. Nicht zuletzt, erinnernd, es
gibt sehr sehr viele schreibende Physiker. Lichtenberg ist ein bekanntes Beispiel oder was
weniger bei Physikern bekannt ist, dass Maxwell sehr ambitioniert Gedichte geschrieben hat. Lassen
Sie mich in diesen Wust von Beispielen ein bisschen Struktur reinbringen und ich möchte
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:12:38 Min
Aufnahmedatum
2014-05-05
Hochgeladen am
2014-05-19 15:21:55
Sprache
de-DE
Schriftsteller interessieren sich für die neuen Erkenntnisse der Kosmologie und Evolutionstheorie, da sie unmittelbar für das Selbstverständnis von Menschen relevant sind. Physiker interessieren sich für literarische Texte, weil sie ihnen einen neuen Blick auf ihre Forschung ermöglichen. Was muss ein Physiker über Sprache wissen, um überzeugend schreiben und vortragen zu können? Wieviel Physik muss ein Literaturwissenschaftler zur Kenntnis nehmen? Bietet Literatur einen neuen Blick auf ethische Probleme, die aus der Atomphysik oder Genetik entstehen? Das Erlanger Zentrum für Literatur und Naturwissenschaft (ELINAS) bietet ein Forum, um solche Fragen zu behandeln. Im Vortrag soll am Beispiel Zeit gezeigt werden, wie Albert Einsteins Relativitätstheorie in Thomas Lehrs Roman „42“ einfließt und wie Carl Sagans verfilmter Science-Fiction-Roman „Contact“ die physikalische Forschung zu Wurmlöchern und Zeitreisen anregte. Zur Sprache kommen auch Goethes chemische Versuchsanordnungen, Keplers Erzählung „Der Traum“ sowie die Bedeutung der Metapher für Erkenntnisprozesse in Physik und Literatur. Nicht zuletzt wird das Erlanger „Science & Poetry-Lab“ vorgestellt.